Das feministische Kollektiv Winterthur rief für Montagabend zur Demonstration auf. Rund 300 Frauen und einige Männer trugen ihre Anliegen durch die Stadt.
Text: Nina Thöny, Fotos: Madeleine Schoder
Lauter Jubel, überall violette Fahnen und Tücher. «Wir wollen nicht mehr lieb und geduldig sein», ruft eine Frau in ein Mikrofon. Um sie herum haben sich am Montag auf dem Neumarkt viele Frauen und auch einige Männer versammelt, um für mehr Gleichberechtigung einzustehen. Die Rednerin sagt, das Hauptanliegen der feministischen Bewegungen, gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, sei bis heute nicht umgesetzt.
«Das macht uns wütend!»
Rednerin Frauenstreik
Nach ihr berichtet eine junge Frau vor versammeltem Publikum, wie ein Mann in Bosnien ihr Nein einfach nicht akzeptieren wollte und sie immer und immer wieder kontaktierte, obwohl sie ihn mehrmals bat, damit aufzuhören. Sie erzählt, wie er plötzlich vor ihrer dortigen Unterkunft auftauchte und sie bei ihren Mitbewohnerinnen Schutz suchte. «Das Gleiche hätte auch hier in der Schweiz passieren können», betont sie. Zuerst habe sie sich schuldig gefühlt, weil er sich so traurig zeigte. Nach dem letzten Satz zittert sie am ganzen Körper, zwei Freundinnen umarmen sie.
Kurz nach 18.30 Uhr hebt eine Gruppe von Frauen ein grosses, violettes Banner vom Boden und schreitet voran Richtung Steinberggasse. Praktisch alle tragen eine Maske. Aus der Menschenmenge ragen Flaggen hervor und Plakate. «My body, my choice» steht auf einem, «Nur ja heisst ja» auf einem anderen. In Grossbuchstaben. Einige Frauen pfeifen, andere jubeln, von einem Wagen dröhnt laute Musik. Sie ziehen an Gästen vorbei, die vor den Cafés und Restaurants ihren Apéro geniessen oder auf ihr Essen warten. «Mitspazieren, solidarisieren», rufen die Frauen im Sprechchor. Sie marschieren weiter durch den Graben und dann die Stadthausstrasse hinunter Richtung Bahnhof. Zwischendurch machen sie halt für weitere Reden.
Junge Frauen sollen es besser haben
Es sind unterschiedliche Gründe, die die Frauen und andere Teilnehmende an diesem Tag auf die Strasse treiben. Eine Frau, die vor der Demo mit einer Freundin im Bikini in der Steinberggasse sass, findet, es gebe immer noch sehr viel zu tun. «Frauen werden seit Jahrzehnten kleingehalten», sagt sie. Es sei etwa unglaublich, dass einer Frau noch immer die Schuld zugeschrieben werde, nachdem sie vergewaltigt worden sei. Ihre Freundin pflichtet ihr bei und sieht das Problem auch in der Erziehung:
«Kleine Buben hören noch viel zu oft, dass sie wichtiger seien als Frauen.»
Teilnehmerin Frauenstreik

Eine ältere Teilnehmerin war schon am historischen Frauenstreik vor 30 Jahren dabei, damals in Basel. Auch vor zwei Jahren schritt sie am Frauenstreik in Basel mit. «Ich will mich dafür einsetzen, dass es jungen Frauen besser geht als uns», sagt sie. Ein Leben lang habe sie in der Spitex «gekrampft», bis es nicht mehr ging und sie sich habe frühpensionieren lassen müssen. Nun müsse sie mit 2600 Franken Rente pro Monat auskommen. Es brauche dringend bessere Löhne in der Pflege. Und Lohngleichheit für Frau und Mann sowieso.
Feministisches Kollektiv will wieder mehr nach aussen treten
Zum Streik aufgerufen hatte das feministische Kollektiv Winterthur. Sarah Casutt, die dem Kollektiv angehört, sagte im Vorfeld, Corona habe die Debatte in den letzten Monaten dominiert. «Es ist wichtig, dass wir mit unseren Anliegen jetzt wieder nach aussen treten.» Dank den verschiedenen Aktionen der letzten Jahre stünden feministische Themen wie die Lohndiskriminierung, die sexualisierte Gewalt und die unbezahlte Sorgearbeit zwar wieder stärker im Vordergrund. Doch nur weil die Probleme mehr Aufmerksamkeit erhielten, seien sie nicht gelöst. Die unbezahlte Sorgearbeit beispielsweise werde hauptsächlich von Frauen geleistet, gleichzeitig erhielten sie tiefere Löhne und Renten als Männer. «Die Sorgearbeit muss besser verteilt werden», fordert Casutt.
In den sozialen Medien hat das Kollektiv kritisiert, dass Frauen, aber auch Intergender-, Nonbinäre, Trans- und Agender-Personen im öffentlichen Raum zu wenig sichtbar seien. In der Nacht auf Montag hat ein «queerfeministisches Bündnis» aus diesem Grund Strassentafeln überklebt. Auf Instagram schrieb das Kollektiv am Montagmittag: «General Guisan und Willhelm Tell mussten Emma Sulzer und Sarah Akanji weichen.» Später wurde der Beitrag von Instagram gelöscht.

Die Demonstration verlief friedlich
Die Stadtpolizei Winterthur rechnete im Vorfeld des Frauenstreiks mit Verkehrsbehinderungen und Verspätungen und riet, die Innenstadt grossräumig zu umfahren. Am Abend war sie mit Dialogteams vor Ort. «Es war absolut friedlich», sagte Stapo-Sprecherin Rahel Egli nach der Demo auf Anfrage. Zwischen 300 und 400 Leute hätten schätzungsweise an der Demo teilgenommen.
*Dieser Artikel wurde am 14. Juni 2021 auf www.landbote.ch publiziert.