In der Nacht auf Sonntag wartete die Kulturstadt mit einem dichten Programm auf, das die Auswahl schwer machte. Im Kunstmuseum etwa lief Technomusik.
Text: Nina Thöny, Fotos: Enzo Lopardo
Scheinwerfer färben die sechs Frauen und sieben Männer in violettes Licht. Sie schütteln ihre Schultern, klatschen in die Hände und tippen mit den Füssen auf das Parkett. Im Hintergrund tönen die Saxofonklänge eines Jazzsongs. Franziska Pfenninger vom Verein Swingscouts schnauft schwer, als sie die Gäste begrüsst. Sie findet es toll, wie schnell ihre Gruppe den «Lockdown-Rost abzuschütteln gewagt hat».
Anlässlich der vierten Kulturnacht Winterthur sind die Swingscouts zu Gast in der Alten Kaserne. Sie tanzen Lindy Hop und Swing. «Stimmung, wuhu!», ruft eine Tänzerin dem Publikum zu. Sekunden später wirbelt sie mit ihrem Tanzpartner über die Bühne. Nach kurzer Zeit wippt der Fuss automatisch mit, beim dritten Lied klatschen viele Zuschauer im Takt.

Maskierte Gäste
Eine halbe Stunde später im Naturmuseum. Jane Mumford rennt in den Ausstellungsraum. «Meine Schlange ist entkommen, tut mir leid», sagt sie und spreizt mit der einen Hand eine Servierzange. Man solle einfach die Hand heben, wenn man etwas spüre.

Die Stand-up-Komikerin spricht über die aktuelle Situation in Londons Musicalszene – «ich bin halbe Britin». Sie gestikuliert viel mit den Händen. Kippt sie zur Seite, wenn sie von einem umfallenden Bus erzählt. Legt sie aneinander und lehnt den Kopf daran, wenn sie von einer Schlafenden spricht.
Über Mumford hängt ein Mäusebussard. Ein ausgestopfter. Es ist das erste Mal, dass sie Ausschnitte ihres ersten Soloprogramms «Reptil» in der Schweiz vorführt. «Eigentlich finden wir Schweizer die Natur auch nicht so geil», sagt sie. Und arbeitet sich an der hohen Dichte von Snowboard- und Wanderjacken in der Schweiz ab. Mumford blickt in lauter maskierte Gesichter. Eine Frau wirft den Kopf in den Nacken, einige Schultern schütteln. Ansonsten kann man die Lacher nicht sehen, nur hören.
Später wird sie sagen, dass sie die verdeckten Münder nicht stören. Im Gegenteil: «Es ist fast angenehmer, sonst gibt es im Publikum immer das eine oder andere hässige Gesicht.» Sie habe weniger studiert über Reaktionen und sich mehr auf ihr Stück konzentrieren können.
Techno neben Kunstinstallationen
Auf einen Rave deutet erst mal gar nichts hin beim Betreten der Ausstellungsräume des Kunstmuseums im selben Gebäude. Zwei junge Frauen umrunden gerade einen Sockel, der eine bunte Skulptur trägt. An der Wand hängen Werke von Henri Rousseau, Fernand Léger oder Amédée Ozenfant. Der Teppichboden schluckt die Geräusche von Schritten.

Nach sechs Räumen führt eine Treppe hinunter. An den Wänden laufen Installationen. Ihre Klänge werden übertönt von einem schnellen Bass. Turnschuhe tippeln auf dem kahlen Boden. Pfiffe. Lichtblitze. Ein Mann hält seine Arme im rechten Winkel vom Körper hoch, dreht. Sein weites Hemd mit Drachenmotiv steckt in einer Retrojeans. Er ist für den Rave von St. Gallen gekommen. «Diese Plattform für die Technokultur ist super, sie ist sonst nicht so anerkannt», sagt er. In einem Club liege sein Fokus darauf, abzuschalten, die Nacht durchzutanzen. Hier im Museum verschiebe er sich auf die Kunst.
Nach 30 Minuten ist der Countdown an den Wänden abgelaufen. «U huere geil!», sagt eine Besucherin zu ihren Kollegen. Zurück an der kalten Luft, brummt der Kopf von den vielen Eindrücken.
Vierte Kulturnacht Winterthur
Am Samstagabend öffneten 15 Museen und Institutionen ihre Türen für eine «Entdeckungstour». An der Veranstaltung lädt jede Institution Kunstschaffende oder eine andere Kulturinstitution dazu ein, Kontrastpunkte zu schaffen. In diesem Jahr fand beispielsweise im Münzkabinett eine Akrobatikshow statt, im Römerholz liefen Filme, und in der Kunsthalle spielte die Guggenmusik Eulachschränzer auf. Hinter der Veranstaltung steht die IG Kunstsammlungen, in der sich Winterthurer Museen zusammenschliessen.
*Dieser Artikel wurde am 27. September 2020 auf www.landbote.ch publiziert.