Drei Tage lang wartete Herr Emerson an einem Tisch im Restaurant zum Löwen in Veltheim auf Leute, die ihm ihren alten Goldschmuck verkaufen. Seine Waage und Lupe wirkten professionell, sein Flyer weniger.
Text: Nina Thöny, Fotos: Enzo Lopardo
«Das meiste Geld für’s alte Gold.» Das verspricht ein Flugblatt, das kürzlich in Winterthurer Briefkästen lag. Absender ist ein gewisser «Herr Emerson» vom «LZ Schmuck und Antiquitäten Atelier». Er will 48 Franken pro Gramm bezahlen. Maximal. Sein angebliches Atelier findet man weder im Handelsregister noch im Internet. Und auch im Telefonverzeichnis sucht man vergebens. Statt einer Adresse steht auf dem Flyer nur Zürich. Und eine Handynummer, die echt ist.

Von letztem Mittwoch bis Freitag sass der Händler an einem Tisch im Restaurant zum Löwen in Veltheim und wartete auf Verkaufswillige.
Solche Flugblätter sind nicht ungewöhnlich, immer wieder findet man sie zwischen Zeitungen und Werbeheften. Aktuell ist es aber besonders attraktiv, den alten Schmuck hervorzukramen. Denn Gold ist so viel wert wie noch nie. Die Unsicherheit in der Corona-Krise treibt die Nachfrage täglich hoch. Bereits Ende Juli hat der Goldpreis in Dollar den höchsten je erreichten Wert überschritten, letzte Woche lag er bei rund 60 Franken pro Gramm. Was die alte Goldkette wohl wert ist?
Seinen Vornamen will der Händler nicht nennen
Herr Emerson steht vor dem Eingang und telefoniert. Es ist Freitag, sein dritter und letzter Tag im Restaurant zum Löwen. Der Mann sieht auffällig unauffällig aus: Um die 30, dunkle, kurz geschnittene Haare, schlank. Sein Hemd ist mattgrau und sitzt locker. Er verliert nicht viele Worte, sondern bittet gleich in den Gastraum, der gegen elf Uhr vormittags noch leer ist. Auf einem Tisch am Fenster hat er sich mit Waage, Lupe und Co. eingerichtet. «Wollen Sie etwas trinken?», fragt er auf Schweizerdeutsch. Auf Small Talk verzichtet er ganz, sucht durch das Plexiglas auf dem Tisch aber immer wieder den Blickkontakt.
Die Besucherin soll ihren Schmuck auf die Unterlage aus schwarzem Leder legen. Herr Emerson greift nach der ersten Halskette und untersucht sie mit einer Lupe von der Grösse eines Einfränklers. Am Verschluss sucht er einen Stempel. Er findet keinen. «Die ist nur vergoldet», sagt er nach ein paar Sekunden. Bei der zweiten Kette mit Kreuzanhänger wird er fündig. «Nur acht Karat», sagt er.
«Das gibt leider nicht viel.»
Herr Emerson, Goldankäufer
Dann legt er sie auf die Goldwaage, deren Anzeige nur er sieht: «30 Franken.» Ohne eine Antwort abzuwarten, greift er nach dem Briefcouvert neben der Waage und zieht eine Zehner- und eine Zwanzigernote aus dem Bündel hervor.
Herr Emerson zuckt nur mit den Achseln, als er erfährt, dass sein Gegenüber von der Zeitung ist und nicht verkaufen will. «Was wollen Sie von mir?», fragt er und steckt das Geld wieder ein. Die Frage nach seinem Namen beantwortet er mit «Herr Emerson». Jene nach seinem Vornamen gar nicht. Trotzdem beantwortet er ein paar Fragen. Den Ankaufspreis berechne er aus dem Tagespreis, pro Stück ziehe er drei Franken als Marge ab. Solche Ankäufe mache er selten. Das Restaurant muss bezahlt, die Flyer müssen gedruckt und verteilt werden. «Hauptberuflich mache ich Flohmärkte.» Viele Leute verkauften ihren Goldschmuck lieber im Restaurant, das anonymer ist als der Goldschmied:
«Es geht den Leuten um die Privatsphäre.»
Herr Emerson, Goldankäufer
Plötzlich bricht Herr Emerson ab. Er habe gleich einen Termin mit einem Kunden und erst gegen 14 Uhr wieder Zeit. Fragen zur falschen Firma, zur fehlenden Adresse und dazu, was er mit dem Gold nach dem Ankauf macht, bleiben ungestellt. Am Nachmittag geht er zunächst nicht ans Telefon. Beim zweiten Anruf nimmt er ab, im Hintergrund sind männliche Stimmen zu hören. Er sei gerade noch besetzt, sagt Herr Emerson. «Ich gebe einen Funk, sobald ich fertig bin», sagt er und tut es dann nicht. Sein Handy nimmt er nicht mehr ab, auch fünf Tage später nicht.
Der Goldschmied bezahlt fast doppelt so viel
«Einen Herrn Emerson kenne ich nicht», sagt Yves Schuppisser. Seine Familie betreibt seit 36 Jahren eine Goldschmiede am Graben. Er kenne aber andere fliegende Händler. Diese seien ein paar Tage in einem Restaurant und dann wieder weg. «Wir hingegen haben einen Ruf zu verlieren.»
Schuppisser untersucht die Kreuzkette ebenfalls mit einer Lupe. «Neun Karat», sagt er. Das bedeutet, dass die Kette aus 37,5 Prozent Feingold besteht. Schuppisser legt die Goldkette auf eine Waage, deren Anzeige auch die Kundin sieht. Mit Anhänger wiegt sie drei Gramm: «Dafür hätten wir am Freitag 57 Franken bezahlt.» Fast doppelt so viel wie Herr Emerson.
Schuppisser erstaunt das nicht. «Immer wieder klagen Leute im Laden über fliegende Händler.» Ein gängiger Trick gehe so: Ein Anbieter überprüft kurz die Ware und fragt den Kunden dann, welchen Verkaufspreis sich dieser vorgestellt habe. Die Kunden wüssten leider oft zu wenig Bescheid über ihre Ware. Schuppisser sagt: «Sie verkaufen häufig massiv unter Wert.» Vor kurzem sei eine Kundin mit einer Goldkette dagewesen. Sie hätten ihr rund 380 Franken offeriert, andernorts sei ihr 80 Franken geboten worden.
In der Schweiz kann heute jeder Gold kaufen
So ärgerlich das für die Kundin gewesen wäre: Ein schlechter Deal ist nicht strafbar. Es erstaunt daher nicht, dass bei der Stadtpolizei Winterthur in den letzten Monaten keine Anzeigen eingingen. Und auch der Konsumentenschutz verzeichnete keine Anfragen wegen fragwürdiger Altgoldankäufe.
Anders als der Verkauf, ist der Ankauf von Altgold in der Schweiz gesetzlich nicht geregelt. Das könnte sich bald ändern: Der Bund hat die Lücke erkannt und will sie nun schliessen. Denn der nicht regulierte Handel mit Altedelmetallen berge «Risiken im Bereich der Geldwäscherei», schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft zur Revision des Geldwäschereigesetzes.
Wer Altgold ankaufen will, bräuchte künftig eine Bewilligung. Betroffen wären alle, die nicht im Handelsregister eingetragen sind. Die Branche geht von rund 100 Personen aus. Am Dienstag beschloss die Rechtskommission des Ständerats die Vorlage zu behandeln, im Herbst berät der Ständerat über die Anpassungen des Gesetzes. Unabhängig davon, ob die Revision durchkommt, gilt es beim Goldverkauf einige Tipps (siehe Kasten) zu beachten.
Fünf Stunden und zwei erfolglose Anrufe später ist das Restaurant geschlossen und Herr Emerson verschwunden. Allerdings nicht spurlos: Im Netz finden sich fast identische Inserate. Im Juli war er in einer Pizzeria im appenzellischen Heiden. Statt Zürich gab er Gossau als Standort der fiktiven Firma an. Im Januar war Herr Emerson in Affoltern am Albis, wo er im dortigen Anzeiger mit der Adresse des Winterthurer Geschäfts «Senn Uhren & Schmuck» inserierte. Inhaber Yves Senn wusste davon: «Er sagte mir, die Kunden hätten mehr Vertrauen, wenn er eine Adresse angebe.» Emerson habe den Schmuck früher an ihn weiterverkauft, mittlerweile habe er die Zusammenarbeit beendet: «Es wurden zu viele Waren für mich.»
*Dieser Artikel wurde am 14. August 2020 auf www.landbote.ch publiziert.