Seit über sieben Monaten leitet Thomas Kraft das Impfzentrum in Winterthur. Im Gespräch erzählt er, wieso das Schubsen zu seinen Aufgaben gehört, wie er auf Kritik reagiert und wie seine Zukunft nach dem Impfzentrum aussieht.
Text: Nina Thöny, Foto: Marc Dahinden
Herr Kraft, wann haben Sie zum letzten Mal Ferien gemacht?
Im Juni hatte ich ein paar Tage frei. Ansonsten arbeite ich seit Anfang Jahr sechs bis sieben Tage in der Woche.
Das klingt anstrengend.
Es ist zweischneidig. Auf der einen Seite ist die Aufgabe, die wir hier haben, sehr motivierend, und ich habe ein tolles Team. Andererseits ist das Pensum schon anstrengend, und ich bin auch nicht mehr der Jüngste.
Zur Person
Thomas Kraft (64) leitet seit April das Impfzentrum Winterthur auf dem Rieterareal. Der gebürtige Basler wuchs in Winterthur auf. Er lernte Forstwart und studierte später Landschaftsarchitektur. Seit über 20 Jahren ist er Projektleiter beim Freilichtspektakel Karl’s kühne Gassenschau. Kraft war zudem schon Bauführer, Gastronom und Gemeindeammann. Er bezeichnet sich selbst denn auch als «Pionier und Generalist».
Lange Ferien dürften aber nicht so bald anstehen. Sie haben angekündigt, dass Sie im Impfzentrum wieder auf Volllast umstellen wollen, weil die Nachfrage nach Booster-Impfungen so gross ist. Vor zwei Wochen haben Sie die Öffnungszeiten reduziert, weil so wenig los war. Wie gehen Sie mit dem ständigen Hin und Her um?
Dass praktisch jeden Tag etwas ändert, ist für uns mittlerweile Alltag. Aber die Planung ist eine komplizierte Geschichte. Viele Faktoren haben einen Einfluss darauf, wie viele Leute sich impfen lassen. Etwa, wie die Politik entscheidet. Als der Bund beschlossen hatte, dass Tests kostenpflichtig würden, liessen sich wieder mehr Leute impfen. Auch die Gesundheit der Leute kann eine Rolle spielen: Wenn eine Grippewelle kommt, können sich die Leute nicht impfen lassen und brauchen stattdessen mehr Tests.
Am 10. Dezember schliessen Sie den derzeitigen Standort und ziehen in ein neues Gebäude auf dem Rieterareal. Ist der genaue Standort mittlerweile bekannt?
Wir ziehen von der Klosterstrasse 22 an die Nummer 26, wo wir auch die Container unseres Testzentrums aufgebaut haben. Am 4. Januar starten wir am neuen Ort.
Und dazwischen wird es im Zentrum keine Impfungen geben?
Nein, wir brauchen Zeit, um das ganze Material zu verschieben. Und Elektriker- und Messebaufirmen haben zwischen Weihnachten und Neujahr Betriebsferien, deshalb können wir das Zentrum nicht länger offen lassen. Wenn der Booster für alle tatsächlich im Dezember kommt, dann ist der Zeitpunkt etwas blöd. Aber das ist jetzt einfach nicht anders machbar. Wer sich in diesen Tagen zum ersten Mal impfen lässt bei uns, hat zwei Möglichkeiten: Er kann mit der Zweitimpfung bis Januar warten oder ins Impfzentrum Uster gehen. Zudem prüfen wir, ob wir ein Pop-up-Impfzentrum eröffnen könnten.
Können Sie dazu Genaueres sagen?
Nein, im Moment ist es erst eine Idee. Sobald wir mehr wissen, werden wir darüber informieren.
mRNA-Impfstoffe, Booster und Antigen-Schnelltests. Seit diesem Jahr schlagen Sie sich mit ganz neuen Themen herum. Was hat Sie gereizt an dieser Position?
Ganz sicher das Neue. Aber auch, so etwas in kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Es ist eine spannende Aufgabe für die Öffentlichkeit, und sie macht Sinn. Was aber auch eine Rolle spielt: Ich bin meistens in der Kultur tätig. Ich hatte zwar schon noch Arbeit, aber das Kulturleben kam in der Pandemie wirklich zum Stillstand, und dann macht man sich schon Gedanken.
Neben der Kultur sind Sie schon in verschiedene Branchen eingetaucht. Was ist in Ihrer jetzigen Funktion besonders schwierig?
Ich muss es klar sagen: die Zusammenarbeit mit verschiedenen Amtsstellen. Da hat es Leute, die ihre Aufgaben genau nach Büchlein erledigen. Jetzt sind wir aber in einer Krisensituation und müssen etwas aus dem Boden stampfen. Wenn wir dann mit dem Büchlein gemessen werden, kann es da und dort schwierig werden. Aber ich habe Verständnis für diese Leute, denn es liegt auch nicht in ihrer Hand, zu sagen: «Komm, ich lege jetzt diese Vorschriften zur Seite und mache es anders.»
Sie als Pragmatiker muss das doch wahnsinnig machen.
Ich sehe es als spannendes Seilziehen. Was können wir leisten, und wie viel ist die andere Seite bereit zu geben, damit wir schliesslich irgendwo ans Ziel kommen? Dass man an Regeln festhält, ist wahrscheinlich zutiefst schweizerisch. Da braucht es manchmal einen Schubs, damit jemand eine Regel anders interpretiert.
Also gehört Schubsen jetzt zu Ihren Aufgaben?
Ja, das hat es in den letzten Monaten immer wieder gebraucht. Sonst hätten wir nicht in 90 Tagen einen solchen Betrieb auf die Beine stellen können. Ich konnte beispielsweise kein Baugesuch einreichen, denn wir hatten nicht die Zeit, drei Monate auf eine Bewilligung zu warten. Ich habe dann einfach die wichtigsten Leute eingeladen, ihre Bedürfnisse abgeholt und umgesetzt. So konnten wir uns finden.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie und Ihre Mitarbeitenden zur Zielscheibe werden für den Frust gewisser Leute?
Ich sage immer mal wieder: Wir haben diese Pandemie nicht erfunden. Wir waren auch nicht zuständig dafür, wann es bei uns im Impfzentrum welchen Impfstoff gibt. Unser Auftrag ist, möglichst viele Menschen zu impfen. Wir haben diese Aufgabe für die Öffentlichkeit übernommen und versuchen, diese so gut als möglich zu erfüllen. Aber unsere Mitarbeitenden brauchen manchmal schon eine dicke Haut, sei das am Anmeldeschalter oder auch im Callcenter.
Dann erhalten Sie vor allem negative Rückmeldungen?
Nein, gerade im Moment kriegen wir wieder deutlich mehr E-Mails von Leuten, die dankbar sind, dass sie sich bei uns impfen lassen konnten, und betonen, wie unkompliziert es funktioniere. Dass Leute ausfällig werden, haben wir erst selten erlebt.
Sie leiten mehrere Hundert Mitarbeitende. Wie motivieren Sie diese?
Mir war von Anfang an klar, dass es eine schwierige Aufgabe ist. Denn wir wissen nicht, wie lange wir das Impfzentrum betreiben, und es sind täglich ändernde Teams. Wir mussten es deshalb schaffen, das Ganze als Team zu sehen. Wenn ein Rädchen nicht dreht, dann funktioniert die ganze Maschine nicht. Mir ist es wichtig, für die Mitarbeitenden da zu sein. Ich habe fast alle Einführungen selbst gemacht, und vor jeder Schicht machen wir ein Briefing. Das ist ein Moment, wo mich die Mitarbeitenden ansprechen können. Ich halte es ausserdem für extrem wichtig, den Leuten Danke zu sagen.
Das sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Das sehe ich auch so. Unser Team macht einen Superjob, und das sage ich immer wieder. Aber ich habe sehr viele Reaktionen erhalten von Leuten, die im Gesundheitswesen arbeiten. Sie sagten mir, dass sie noch nie eine solche Anerkennung gekriegt hätten. Das gibt mir zu denken, auch mit Blick auf die Abstimmung über die Pflegeinitiative.
Was ist Ihr nächstes Projekt nach dem Impfzentrum?
Ich habe eigentlich schon zu viele Projekte fürs nächste Jahr und muss schauen, wie ich diese aneinander vorbeibringe. Beim Impfzentrum höre ich spätestens Mitte nächsten Jahres auf. Normalerweise verbringe ich etwa sechs Monate pro Jahr mit meinem Segelschiff auf dem Meer, nehme Leute mit auf Törns. Das will ich nächstes Jahr unbedingt wieder machen. Auch in der Kultur steht einiges an. Fürs Musikkollegium organisiere ich ein 20-tägiges Festival in der Halle 53, und dann bin ich nach wie vor Projektleiter bei Karl’s kühner Gassenschau. Ausserdem übernehme ich Planung und Bauleitung beim Umbau eines alten Hauses in der Stadt.
*Dieses Interview wurde am 18. November 2021 auf www.landbote.ch publiziert.