Rund ein Viertel mehr Päckli verteilt die Post aktuell im Raum Winterthur im Vergleich zum Vorjahr. Auf Pakettour mit Pöstler Bernhard Müller (60).
Text: Nina Thöny, Fotos: Madeleine Schoder
Bernhard Müller steht im Laderaum seines Postwagens. Die beiden Flügeltüren sind weit offen, ein Kollege trägt um einen Finger ein kleines Scangerät und fährt damit über die Pakete. Beep, beep, beep. Es ist Dienstagmorgen, kurz nach sechs Uhr. Müller greift sich ein Paket nach dem anderen und stapelt sie aufeinander. Für einen Laien sieht es nach einem wirren Durcheinander aus: braune, weisse, kleine, sperrige und flache Pakete. Doch Müller hat im Kopf seine Route. Was er zuerst ausliefern muss, kommt nach vorne zur Tür.

Der postgelbe Wagen von Müller reiht sich neben mindestens dreissig weitere in einer grossen Halle. Neben den geöffneten Flügeltüren stehen Rollboxen, über den Rand gefüllt mit Paketen. Seit Mitte April nutzt die Post zum Beladen der Winterthurer Autos diese Halle. Zuvor machte sie das im Paketzentrum Frauenfeld ein paar Hundert Meter weiter. Der Platz reichte nicht mehr.
Pöstler liefern täglich über eine Million Päckli aus
Schon vor Corona wuchs die Paketmenge der Winterthurerinnen und Winterthur stetig, der Umzug war deshalb schon länger geplant. Nun ist man aber besonders froh, denn in der Region Winterthur verzeichnet die Post rund ein Viertel mehr Päckli im Vergleich zu letzter Weihnacht.
Detaillierte Zahlen zu Regionen oder Städten kommuniziere die Post aber nicht, sagt Mediensprecher Markus Werner. Schweizweit liefere die Post aktuell über eine Million Pakete pro Tag aus. Vor Corona waren es laut Werner rund 600’000 Pakete pro Tag, in der letzten Weihnachtszeit rund 800’000.
Pöstler Müller verteilt vor Weihnachten täglich 400 Pakete
Kurz vor halb acht schlägt Pöstler Bernhard Müller zuerst die beiden Flügeltüren zu, dann seine Fahrertür. Rund 400 Päckli stapeln sich in seinem Nacken, schätzt er. Zu normalen Zeiten seien es jeweils gegen 300. Ihn stresse die Extramenge nicht: «Das ist Einstellungssache», sagt er in breitem Thurgauer Dialekt. Er nehme sich in dieser Zeit am Abend nichts vor, dann sei er nicht gestresst. Zwischen neun und zwölf Stunden dauerten seine Arbeitstage im Moment, normalerweise sind es um die acht.
So locker sehen das nicht alle. Die Gewerkschaft Syndicom kritisiert insbesondere, die Post setze zu häufig auf temporäre Mitarbeitende. Postsprecher Werner sagt: «Bei den Päckli gibt es grosse saisonale Schwankungen, an Weihnachten werden immer viel mehr verschickt. Deshalb arbeiten wir zwangsläufig mit Temporären.» In der Sortierung und Zustellung der Pakete arbeiteten rund 5000 Mitarbeitende, 15 Prozent davon mit einem temporären Vertrag. Seit Anfang Jahr hat die Paketpost laut Werner 500 zusätzliche Stellen geschaffen, auf die Weihnachtszeit hin zusätzlich 800 Temporäre eingestellt.
Syndicom-Sprecher Matthias Loosli sagt, die Post habe das ganze Jahr hindurch einen viel zu hohen Anteil an Temporären. «Der hat nichts mit Spitzen brechen zu tun.» Der viel geringere Anteil bei der Briefpost zeige, dass es auch anders gehe. Dort sind laut Werner rund sechs Prozent der 14’000 Mitarbeitenden Temporäre. Die saisonalen Schwankungen seien viel geringer:
«Die Zeiten, in denen die Leute einen Haufen Weihnachtsbriefe geschrieben haben, sind vorbei»
Markus Werner, Mediensprecher Post
Vom Koch zum Pöstler
Im Schritttempo zirkelt Pöstler Bernhard Müller den Lieferwagen rückwärts neben den Rollboxen durch und fährt los, Richtung Wülflingen. «Bei mir läuft immer das Radio», sagt er. FM1 zeigt das Display. Seit 28 Jahren fährt Müller, ein gelernter Koch, für die Post. Gekocht hat er sieben Jahre, danach hörte er wegen Problemen mit seinen Füssen auf. Mehrmals hatte er eine Thrombose. Mit einem Umweg über die Handelsschule, «Büro hat mir nicht so zugesagt», war er einige Zeit als Lastwagenfahrer unterwegs, bis er 1992 zur Post kam.
Kurz nach der Autobahnausfahrt Wülflingen hält Müller vor einem Block, springt aus dem Auto und reisst die Flügeltüren auf. Er greift sich ganz vorne ein kleines Päckli, zückt sein Smartphone, «mein Arbeitsgerät», es piepst zweimal, und legt es in einen Briefkasten. In zügigem Schritt zurück zum Lieferwagen und weiter zu Kistler. «Hier werde ich gleich ein paar Päckli los», freut er sich und beigt zwanzig Stück auf einen Wagen der Firma.

An der Burgstrasse klingelt er bei einem Wohnblock. Die Tür summt und öffnet. Er legt das Paket in den Eingang und ruft ins Treppenhaus: «Post isch do!» Um 20 nach 8 hat er alle Express-Päckli verteilt. Bis 9 Uhr müssen diese beim Empfänger sein. In diesen Tagen ist Müller in Wülflingen unterwegs, weil das Team Unterstützung benötigt. Für gewöhnlich ist er aber für die Stadt zuständig, 8400. «Ich kenne in Winterthur jede Ecke», sagt Müller. Ein Navi braucht er nicht.
Fitness, damit die Päckli nicht so fest in den Rücken gehen
An der Weststrasse beigt Müller drei kleinere Päckchen auf ein grosses und läuft los. «Hier ist ein Haus am nächsten.» Mit dem Finger fährt er über die Briefkastenschilder und sucht den Namen der Empfängerin. Manchmal lässt er das Auto stehen und läuft zu Fuss zum nächsten Haus. Bis zu 15 Kilometer lege er so zurück, die Päckli würden bis zu 20 Kilogramm wiegen.
«Ich gehe regelmässig ins Fitness, das lohnt sich.»
Bernhard Müller, Pöstler

Die Post hofft auf Entlastung nach Weihnachten. «Käme wieder ein kompletter Lockdown, würden die Paketmengen aber hoch bleiben», sagt Werner. Kurz vor elf Uhr stapeln sich die Pakete zuhinterst in Müllers Wagen noch immer bis an die Decke. «Etwas mehr als ein Drittel habe ich geschafft», sagt er und fährt weg.
*Dieser Artikel wurde am 22. Dezember 2020 auf www.landbote.ch publiziert.