Am letzten Abend überwog in der Kultbeiz Gotthard die Freude. Es kamen vor allem Stammgäste, die ihr Lokal würdigen wollten.
Text: Nina Thöny, Fotos: Enzo Lopardo
Schon von weitem ist die Musik hörbar. «Eye of the Tiger» dröhnt unter den hochgeschobenen Fenstern des Gotthard 1900 am Untertor hindurch. Die Plätze drinnen und draussen sind um 20 Uhr alle besetzt. Hauptsächlich von Stammgästen, die das «Göde» am allerletzten Abend würdigen wollen. Die Kultbeiz hat zur Goodbye-Party geladen, denn nach fast 30 Jahren ist Schluss, wie im August bekannt wurde.
Lilo Hächler steigt die drei Treppen vom dem Lokal hinab. Die 80-Jährige erzählt, das erste Mal sei sie mit 18 ins Gotthard gekommen. Das Lokal wurde für sie zum Treffpunkt. Hier habe sie immer Leute getroffen, die sie kannte, und dann habe man zusammen etwas getrunken.

Doch das ist nun Geschichte. Sie zieht einen Lätsch und sagt:
«Es ist einfach zum Weinen.»
Lilo Hächler, Stammgästin
Einen Meter weiter, neben der Tür, sitzt Bea Isliker auf einer Bank. Sie sagt: «Ich schaute immer gerne den Leuten zu, die vorbeigingen.» Im Gotthard war sie ein paarmal im Jahr. Wann erstmals, weiss sie nicht mehr genau. Vielleicht vor 20 Jahren oder 30? Dafür ist sie sicher: «Es geht etwas verloren.»
Hier begannen auch Liebesgeschichten
Das Gotthard, das war die Adresse für das letzte Bier, wenn alle anderen Bars bereits geschlossen waren, aber auch für den Kaffee frühmorgens. Viele verbinden persönliche Erinnerungen mit dem Lokal, etwa auch Anja und Pascal Restle. Das Paar sitzt draussen mit Freundinnen und Freunden um einen Bartisch. Ihre kleine Tochter haben sie für den Abend abgegeben, um «ihr Lokal» nochmals ordentlich zu feiern. Die beiden haben sich vor ungefähr sieben Jahren im Gotthard kennen gelernt, sie arbeitete damals hinter der Bar. «Ich war als 18-Jährige frisch in die Schweiz gezogen und wurde vom Team und den Stammgästen super aufgenommen», erzählt die Österreicherin.

Drinnen leuchtet eine Partylampe abwechselnd blau, grün und violett. Zwei Frauen tanzen im Rhythmus der Musik. «Shalala lala», singen alle lauthals den Refrain des gleichnamigen Songs der Vengaboys mit, ein Mann klatscht in die Hände. Wer sich unterhalten will, muss gegen die Musik anschreien. Die Kellnerinnen balancieren volle Tabletts durch die Menschenmenge.
An der Theke, direkt vor dem DJ, sitzt Heinz Peter. Der Wülflinger kommt seit über zwanzig Jahren jede Woche ins Gotthard. Was ihm so gefällt am Lokal? «Dass es zentral ist und dass immer etwas geht», sagt er. Eine neue Stammbeiz werde er sich nicht suchen, denn er wolle sowieso mit seiner Frau nach Thailand auswandern.
Am Fenster sitzen Olivier Compagnon und Markus «Hermi» Hermann vor ihrem Bier im Plastikbecher. Compagnon ruft:
«Es ist einfach die geilste Bar der Schweiz.»
Olivier Compagnon, Stammgast
Er hat sie entdeckt, als er vor 20 Jahren in Winterthur arbeitete. Das Ambiente, die Leute, das Konzept mit dem Nonstop-Betrieb, das sei einmalig. «Sonst bin ich nicht so emotional», fügt er hinzu und lacht. Die beiden sind extra von Basel hergekommen und haben sich im Ibis einquartiert, damit sie bis zum Schluss feiern können. Hermann sagt: «Im Gotthard ist immer eine crazy Stimmung, jedes Mal anders, aber jedes Mal gut.»

Feiern bis in die frühen Morgenstunden
Geschäftsleiterin Katja Hoppe trägt ein breites Lächeln im Gesicht. Doch der eine oder andere Stammgast habe ihr schon fast eine Träne entlockt, sagt sie. Seit über zehn Jahren arbeitet sie im Gotthard. Was sie in Zukunft machen werde, wisse sie noch nicht. «Zuerst fahre ich sicher einmal etwas runter», sagt sie, «die letzten Monate waren sehr intensiv.»
Besonders in Erinnerung bleiben werde ihr ein Mitarbeiterfest vor drei Jahren, bei dem sie die Rollen im Gotthard umkehrten: Stammgäste bedienten das Team. «Wir hatten sehr viel Spass», erinnert sich Hoppe. Sie sei extrem dankbar für all die Erlebnisse. «Heute Abend bleiben wir offen, bis alle gegangen sind oder bis wir nichts mehr zum Ausschenken haben», sagt sie. Auf die Frage, wo sie künftig ihr Bier trinken werden, weiss keiner der Stammgäste eine Antwort. Eine zweite Beiz wie das Gotthard gibt es in der Stadt nicht, da sind sie sich einig.
*Dieser Artikel wurde am 26. September 2021 auf www.landbote.ch publiziert.